Furchtbarkeit: Die biologische Uhr tickt bei der Frau ab 30 Jahren

By Unknown - juillet 11, 2017




Pop-Ikone Madonna machte es vor:
Nachdem sie jahrzehntelang eisern für ihren Erfolg gearbeitet hatte, wurde sie mit 38 Jahren zum ersten Mal Mutter. Das zweite Kind folgte vier Jahre später. Auch Hollywoodstar Julia Roberts feilte nach ihrem Durchbruch als "Pretty Woman" 14 Jahre lang an ihrer Karriere, bevor sie 2004 im Alter von 37 Jahren Zwillinge zur Welt brachte. Ganz oben auf der Rangliste der reifen Promi-Mütter thront jedoch US-Schauspielerin Geena Davis: Sie bekam mit 46 Jahren ihr erstes Kind von ihrem dritten Ehemann, dem 16 Jahre jüngeren Chirurgen Reza Jarrahy. Zwei Jahre später, haarscharf vor der Menopause, krönten Zwillinge ihr spätes Mutterglück.

Aber es sind längst nicht mehr nur prominente Trendsetterinnen, die mit Glück und oft auch mit Hilfe der modernen Fortpflanzungsmedizin erst im reifen Alter eine Familie gründen. Deutsche Frauen sind heute bei der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt knapp 30 Jahre alt, fünf Jahre älter als 1960. Der Anteil derjenigen, die ihr erstes Kind mit über 35 Jahren gebären, ist seit 1990 innerhalb von zehn Jahren von fünf auf 16 Prozent gestiegen. Allerdings hat sich zugleich die Zahl der Geburten nach Angaben des statistischen Bundesamtes in den vergangenen 40 Jahren fast halbiert. Die deutsche Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau ist die niedrigste in Europa. Rund ein Drittel der 1965 geborenen Frauen hat keine Kinder bekommen. Und etwa jedes sechste Paar bleibt ungewollt kinderlos.

Dabei scheint auf den ersten Blick logisch: Die menschliche Lebenserwartung steigt seit Jahrzehnten, also läßt sich auch die Familiengründung getrost auf später verschieben. Zumal sich jungen Frauen heute Perspektiven eröffnen, von denen ihre Großmütter nur träumen konnten. Sich ausbilden, studieren, für ein paar Jahre ins Ausland gehen, an der Karriere basteln und potentielle Partner erst einmal auf Herz und Nieren prüfen - besonders hochqualifizierten Frauen fällt es da oft schwer, sich rechtzeitig für ein Kind zu entscheiden. Laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamts sind 62 Prozent der Akademikerinnen bis zum 35. Lebensjahr kinderlos. Rund die Hälfte bleibt es auch - meist unfreiwillig.

Erstaunlicherweise liegt dies aber nicht in erster Linie daran, daß Mutterschaft auch heute noch allzuoft bedeutet, auf beruflichen Erfolg verzichten zu müssen. Vielmehr gab bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Frühjahr 2005 unter 40 000 Frauen und Männern zwischen 18 und 49 Jahren fast die Hälfte der Kinderlosen an, daß ihnen schlicht der geeignete Partner fehle, um eine Familie zu gründen.

Ist dieses Problem gelöst, klagen jedoch viele Eltern über ein familienfeindliches Klima in manchen Unternehmen. So berichtete die Hälfte der befragten Väter und Mütter über verständnislose Vorgesetzte. 29 Prozent glaubten, daß sie langsamer Karriere machen als ihre kinderlosen Kollegen. Und 42 Prozent der Mütter bezeichneten ihre Kinder als klare Karrierehemmnisse.

Also zuerst ein paar Jahre Karriere machen, währenddessen hoffentlich den richtigen Partner finden und dann Kinder bekommen? Den Frauen, die so denken, ist meist nicht bewußt, daß sie in diesem Spiel auf Zeit etwas Entscheidendes verlieren könnten: ihre Fruchtbarkeit. Zwar ist bekannt, daß Mediziner bei Frauen ab 35 von einer Risikoschwangerschaft sprechen. Daß sie aber in diesem Alter gar nicht mehr schwanger werden könnten, realisieren die wenigsten. So glaubte etwa in einer Studie der Abteilung für Medizinische Psychologie der Universität Leipzig rund ein Drittel der Befragten, eine Schwangerschaft bis 45 Jahre sei kein Problem. Eine im Rahmen des Forschungsverbundes Fertilitätsstörungen erhobene Studie zeigte, daß Frauen ihre Familienplanung immer weiter nach hinten verschieben. So gaben 20jährige an, ihr erstes Kind mit 26 Jahren bekommen zu wollen. Befragte zwischen 21 bis 30 Jahren hatten den idealen Zeitpunkt bereits um drei Jahre nach hinten verschoben. Und Frauen über 30 glaubten gar, 36 sei das beste Alter.

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Ein verhängnisvoller Irrtum, warnen Experten wie Professor Thomas Katzorke vom Essener Zentrum für Reproduktionsmedizin: "Das ideale Alter für eine Schwangerschaft liegt zwischen 20 und 30 Jahren. Das durchschnittliche Gebäralter der deutschen Frauen ist schon sehr spät." Noch deutlicher formuliert es der Berliner Fortpflanzungsmediziner Heribert Kentenich: "Es ist letztlich pervers, daß viele Frauen nur deshalb medizinische Hilfe benötigen, weil sie schlicht zu alt sind für eine Schwangerschaft."

Schuld an der abnehmenden weiblichen Fruchtbarkeit sind die Eizellen: "Mit den Jahren nimmt die Zahl und die Qualität der Eizellen ab", erläutert Kentenich. "Bei der Geburt verfügt eine Frau noch über etwa eine Million unreifer Eizellen, mit 40 Jahren sind nur noch einige Tausend übrig." Bei den verbleibenden Eizellen mehrten sich zudem Schäden an den Chromosomen, da sie Belastungen durch Umweltgifte und Strahlung länger ausgesetzt waren.

Männer haben es da leichter: Ihnen setzt die Natur kein endgültiges Alterslimit für die Fortpflanzung. Dennoch sollten auch sie sich nach neueren Erkenntnissen nicht allzulange Zeit lassen. Die männliche Fruchtbarkeit bleibe zwar bis zum Alter von 35 Jahren konstant, nehme dann aber bis 40 um rund 40 Prozent ab, berichtete ein italienisch-amerikanisches Forschungsteam um David Dunson vom National Institute of Environmental Health Sciences in North Carolina im April 2002 im Fachjournal "Human Reproduction". In vielen Befruchtungskliniken in den USA dürfen Samenspender deshalb nicht älter als 34 Jahre alt sein. "Mit 40 Jahren wird die Spermienqualität schlechter", bestätigt auch Kentenich. Dies erschwere zwar eine Befruchtung, verunmögliche sie aber offensichtlich nicht. Trotzdem: Unfruchtbarkeit ist keine Frauensache. Die Ursachen liegen etwa gleich häufig bei beiden Geschlechtern.

Wenn auch die beharrlichsten Zeugungsversuche scheitern, landen viele Paare schließlich in den Praxen der Fortpflanzungsmediziner. Hierzulande suchen nach Angaben des Vereins Wunschkind e.V. jährlich rund 200 000 Paare eine Beratung. "Frauen bis 42 können behandelt werden", sagt Reproduktionsmediziner Katzorke.

Fruchtbarkeitsbehandlungen beginnen in der Regel mit einer hormonellen Stimulation der Frau, die den Zyklus stabilisieren und die Eizellen heranreifen lassen soll. Bleibt der Geschlechtsverkehr danach weiter ohne Folgen, greifen die Ärzte zu drastischeren Mitteln: Die Spermien des Mannes, sofern sie denn funktionstüchtig sind, werden mit einem dünnen Katheter direkt in die Gebärmutter eingespritzt. Diese Technik, die sogenannte intrauterine Insemination, verhilft etwa jedem zehnten Paar zum ersehnten Nachwuchs.

Bei der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas, der sogenannten In-vitro-Fertilisation (IVF), liegt die Erfolgsquote bei etwa 20 Prozent. Reife Eibläschen werden dabei mit einem Katheter und einer feinen Nadel über die Scheide entnommen und in einer Glasschale mit männlichen Samenzellen zusammengeführt. Später werden maximal drei Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt.

Eine Chance für ältere Frauen wäre die Eizellenspende, die aber in Deutschland im Gegensatz zur Samenspende verboten ist. "Dabei kann eine Frau mit fremden Eizellen sogar mit 50 noch ein Kind bekommen", sagt Katzorke.

Ist die Fruchtbarkeit des Mannes stark reduziert, wird häufig die sogenannte intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) angewandt. Dabei werden der Frau nach einer Hormonstimulation mehrere reife Eizellen entnommen. Unter einem speziellen Mikroskop wird dann eine einzelne, intakte Samenzelle des Mannes mit einer dünnen Pipette aufgezogen und direkt in eine Eizelle eingeführt.

Seit vergangenem Jahr muß die Hälfte der Medikamenten- und Behandlungskosten im Rahmen der künstlichen Befruchtung selbst bezahlt werden. "Seither ist die Zahl der Behandlungen bundesweit um 40 Prozent zurückgegangen", berichtet Katzorke. Bei drei Behandlungsversuchen ist mit Kosten von rund 12 000 Euro zu rechnen.

Doch auch wer weder Strapazen noch Kosten scheut, hat noch lange keine Erfolgsgarantie: Nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts liegt die Geburtenrate nach Fruchtbarkeitsbehandlungen deutlich unter 20 Prozent.

Ist die Befruchtung geglückt, drohen den Frauen jenseits des idealen Gebäralters weitere Komplikationen. "Das Risiko einer Fehlgeburt steigt mit dem Alter drastisch an", warnt Professor Bernd Hinney, ärztlicher Leiter der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Georg-August-Universität Göttingen. Bei Frauen bis 30 liege die Fehlgeburtenrate bei 15 bis 20 Prozent, bei den 40jährigen schon bei 43 Prozent. Von den wenigen Frauen, die mit Mitte 40 noch schwanger würden, erlitten gar 60 Prozent eine Fehlgeburt.

Mit dem Alter der Mutter steigt auch das Risiko, daß das Kind mit einer Behinderung, am häufigsten mit dem Downsyndrom, zur Welt kommt. "Bei den Müttern über 35 ist eines von 350 Kindern behindert", sagt Hinney. Bei 25jährigen Müttern ist dies nur bei einer von 1000 Geburten der Fall.

Als Lösung dieser Probleme schlägt Hinney vor, was in den USA bereits mancherorts praktiziert wird: "Frauen könnten mit 20 ihre Eizellen einfrieren und später wieder auftauen lassen." Mit dieser ursprünglich für Krebspatientinnen entwickelten Technik könnte das rücksichtslose Ticken der biologischen Uhr zumindest ein Stück weit verlangsamt werden. 

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